Die Welt in neuer Kriegsgefahr

Wettrüsten, Klimawandel, Ressourcenknappheit: Wie wir in die Katastrophe steuern

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Während der Ostertage wurde über die Friedensbewegung berichtet. Bei den Ostermärschen gab es wieder mehr Zulauf, Reporter*innen befragten Teilnehmende nach ihrer Motivation. Der Friedensbewegung geht es darum, die Eskalation von Aufrüstung und Militarisierung in der Politik zu durchbrechen.

Auf der anderen Seite meldeten sich in den letzten Wochen immer wieder Stimmen, die der Bundesregierung politisches Versagen vorwerfen. Nicht etwa, weil sie zu wenig für den Frieden tut, sondern weil sie die nationalen Rüstungsausgaben nicht noch sehr viel stärker erhöht. Zitiert wurde auch immer wieder US-Präsident Donald Trump, der auf die Erfüllung einer angeblichen Nato-Verpflichtungen pocht: die Ausgaben für Kriegsmaterial auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen.

Tatsächlich bedeutet das Nato-Ziel, die Militärausgeben in unserem Land bis zum Jahr 2024 auf rund 71 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen. Deutschland würde damit auf Rang vier im internationalen Ranking der Länder mit den höchsten Rüstungsausgaben aufsteigen. Nach den Berechnungen des Stockholmer Friedensinstitutes SIPRI liegen die deutschen Militärausgaben heute bereits auf Platz acht, nicht zu verwechseln mit den Einnahmen deutscher Rüstungsschmieden: Hier liegt die Bundesrepublik bereits auf Platz vier.

In der Liste der Staatsausgaben führen die USA mit weitem Abstand vor China, Saudi-Arabien, Indien und Frankreich. Zusammen geben diese Staaten rund 60 Prozent der weltweiten Investitionen in Waffen aus. Auf den Rängen sechs bis zehn folgen Russland, Großbritannien, Deutschland, Japan, Südkorea – insgesamt verantwortlich für drei Viertel des globalen Militärbudgets: Im Jahr 2018 gab die Menschheit unvorstellbare 1,64 Billionen Euro für Waffen aus. Die Rüstungskosten im Jahr 2018 waren die höchsten seit drei Jahrzehnten.

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Damals lebten wir noch in der zweigeteilten Welt, in der Hochrüstung mit einem "Gleichgewicht des Schreckens" begründet wurde. Insbesondere US-Präsident Ronald Reagan trieb die Militärausgaben in die Höhe. Damit verfolgte er ein doppeltes Ziel: Ein Programm zur Förderung der nationalen Rüstungsindustrie – bekannt als "schmutziger Keynesianismus" –, zum anderen wollte Reagan mit der Hochrüstung Russland in die Knie zwingen.

Anfang der 1990er-Jahre gab es die Hoffnung, aus dem Ende der militärischen Konfrontation eine Friedensdividende zu erzielen – frei werdendes Geld, das nicht mehr für Waffen ausgegeben werden muss. In der Charta von Paris war im Jahr 1990 vereinbart worden, zu einer gemeinsamen neuen Sicherheit zu kommen. Das Abkommen dokumentierte das Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas.

Doch diese Friedensdividende ist ausgeblieben. Nicht nur die Rückkehr zur Aufrüstung ist besorgniserregend, auch die Erfolge der Abrüstungs- und Entspannungspolitik werden zurückgedreht. In Europa zerbricht die bisherige Sicherheitsarchitektur, insbesondere durch die Aufkündigung des INF-Vertrages, der ein Verbot der Mittelstreckenraketen mit bis zu 5.500 Kilometern Reichweite vorsieht. Es geht jedoch nicht nur um Abrüstung und Rüstungskontrolle.

Tatsächlich leben wir auch in der Europäischen Union nur "am Rande des Friedens", obwohl sie für 50 Jahre Frieden mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Denn der Menschheit droht nicht nur eine atomare Auslöschung durch den Einsatz von Atombomben, die zu 92 Prozent in den Händen der USA und Russlands liegen. Der Menschheit droht auch die ökologische Selbstvernichtung.

Auch das zeigten die Friedensdemonstrationen an den Ostertagen: Ökologische Fragen rücken ins Zentrum der Kriegsgefahren. Zahlreiche Vertreter*innen aus der Fridays-for-Future-Bewegung, die jeden Freitag für einen konsequenten Klimaschutz demonstrieren, sprachen auf den Kundgebungen. Wie in den 1980er Jahren, als die Umwelt- und die Friedensbewegung durch die gemeinsame Ablehnung der Atomkraft eng verbunden waren, entsteht auch heute eine enge Zusammenarbeit für den Frieden.

Je schneller es zur Erderwärmung kommt, je stärker die planetarischen Grenzen überschritten werden, je tiefer der ökologische Fußabdruck wird, desto größer werden auch die Kriegsgefahren. Ganze Regionen werden unbewohnbar, sind von Dürre oder Überschwemmungen betroffen, Wetterextreme gefährden riesige Landstriche. Millionen Menschen werden dann auf der Flucht sein. Daraus erwachsen neue Verteilungskonflikte. Denn es ist eine Illusion, es könne grüne Oasen des Wohlstands auf einer zunehmend unwirtlichen Welt geben.

Die globale Welt droht zu einer zerbrechlichen Einheit zu werden, weil es bisher kein wirtschaftliches und soziales Modell gibt, das sozial und ökologisch kompatibel ist. Insofern rast die Menschheit auf den verhängnisvollen Zeitpunkt zu, an dem das Zusammenspiel von Klimawandel, Artensterben und Wasserknappheit negative Synergien mit nachholender Industrialisierung und weiteren 1,5 Milliarden Menschen auslösen wird, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen.

Dieser Zeitpunkt wird schon bald erreicht sein. Auch die absehbare Ressourcenknappheit, zum Beispiel beim Öl oder bei Seltenen Erden, wird nicht nur Verteilungskämpfe auslösen, sondern Kriege.

Wenn wir uns weiter weigern, entschlossen im Interesse der ganzen Menschheit zu handeln, vergrößern wir unübersehbar die Kriegsgefahren. Es käme einem moralischen Versagen in gigantischem Ausmaß gleich. Jede und jeder sollte begreifen, dass nach aller historischen Erfahrung der Krieg keine "Grenze in sich hat". Dieses Bewusstsein für die Unkalkulierbarkeit muss alle verantwortlichen Militärs und Politiker*innen lehren, die Industrialisierung des Krieges und seine Eskalationsdynamik zu stoppen. Es geht um die Zivilisierung des Zusammenlebens, nicht um immer mehr Differenz und Konfrontation. Die Idee der Gemeinsamkeit muss zur Leitidee der Politik werden.

Die Definition des früheren schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme bleibt unverändert richtig:

"Wir müssen eine Sicherheit, die auf ständig wachsende Rüstung angewiesen ist, schrittweise durch eine Sicherheit ersetzen, die grundsätzlich politisch ist und auf gegenseitigem Vertrauen beruht. Politische und ideologische Gegner müssen trotz grundlegender Meinungsverschiedenheiten zusammenarbeiten, um einen Atomkrieg zu vermeiden – zusammen überleben oder zusammen sterben. Es wird keine Gewinner im Atomkrieg geben."

Auch deshalb brauchen wir eine starke Friedensbewegung – national und international.

Michael Müller
Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands

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